PAN-EU ist keine Internationalisierung

Immer wieder werden die Begriffe Amazon PAN-EU und Internationalisierung synonym verwendet, doch das ist eigentlich fehlerhaft. Denn hinter dem Begriff der Internationalisierung steckt weitaus mehr. In unserem Blogbeitrag erfahren Sie, was Internationalisierung wirklich bedeutet und warum PAN-EU eine Internationalisierung nur vorgaukelt.

Der deutsche Einzelhandel erobert mit rasantem Tempo den französischen Markt – und lässt sogar die heimischen Händler links liegen. Einer der Hauptgründe, warum so viele deutsche Händler sich auf internationale Märkte fokussieren, liegt darin, dass Amazon in keinem Land der Welt so dominant ist wie in Deutschland. Daher sind für deutsche Händler die Märkte außerhalb der eigenen Landesgrenze so interessant und vor allem lukrativ. Die französische Regierung hat im April 2020 wegen der gerade begonnenen Corona-Pandemie drastische Maßnahmen ergriffen, um dem Amazon-Monopol entgegenzuwirken. Logistikzentren wurden mehrere Wochen geschlossen, der Boom um den Black Friday wurde eingeschränkt und stattdessen wurde der Fokus vermehrt auf Produkte aus Frankreich gelenkt – Support your locals war hier also das Motto. Und das zur Freude der Amazon-Konkurrenz: Denn diese konnte durch die Beschränkung von Amazon einen deutlichen Anstieg ihres Marktanteils erzielen (Quelle). 

Der Kampf um die Spitze – Frankreichs Markt bietet Potenzial

Zum Vergleich: Im Jahr 2020 betrug der Marktanteil von Amazon in Frankreich gerade einmal 19 Prozent. In Deutschland dagegen sicherte sich Amazon im selben Zeitraum mit 53 Prozent die Spitze der Marktanteile. Der Markt in Frankreich wird also nicht von Amazon dominiert. Auch andere Marktplätze sind dort sehr erfolgreich: So haben sich Manomano und Vinted, eine Second-Hand Plattform, neben Amazon unter die Top-3 der am häufigsten besuchten Verkaufsplattformen in Frankreich gekämpft. Und der französische Markt bietet noch weiteres Potenzial für Händler.

Kein Wunder also, dass auch deutsche Händler den französischen Markt ins Visier nehmen. Sowohl Zalando als auch Zooplus, der größte Online-Anbieter für Tierbedarf, verkaufen dort bereits erfolgreich. Es scheint so, als würden die deutschen Händler den französischen Markt ordentlich aufmischen – und vielleicht sogar entscheidende Anteile vom Online-Riesen Amazon abnehmen? Eins ist jetzt schon gewiss: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – das sind in dem Fall die Verbraucher. Sie profitieren von dem anhaltenden Wettkampf der Händler. Denn die Verbraucher erhalten dadurch ein breiteres Produkt- und Preisangebot. 

Amazon.de: Der Platzhirsch unter den Marktplätzen

Vor allem in Deutschland ist Amazon die dominierende und größte Plattform – mit deutlichem Abstand. Der Amazon.de Marketplace hat einen Umsatzanteil von 47 Prozent in Deutschland und zusätzlich einen Umsatzanteil von weiteren 17 Prozent durch den Eigenhandel von Amazon.de. Der Umsatzanteil des übrigen Onlinehandels liegt bei 44 Prozent (Quelle). Amazon beherrscht aber nicht nur den deutschen Markt, sondern führt auch gleichzeitig die Rangliste der 150 erfolgreichsten Marktplätze in Europa an. Rund 17.000 Händler sind mit ihren Produkten auf Amazon Waren vertreten. Vollkommen verständlich, denn dort sind ihre Kunden unterwegs. Und das zahlt sich für sie aus: Durchschnittlich erzielt ein Händler 55.000 Euro monatlich auf Amazon.de (Quelle). Und der Schritt, Produkte auch europaweit anzubieten, ist bei Amazon nur ein paar wenige Klicks entfernt. 

Europäische Märkte sind diverser

Amazon scheint omnipräsent – das gilt jedoch, wie das Beispiel um Frankreich zeigt, noch lange nicht überall. Wenn man einen Blick nach Polen wirft, fällt auf, dass die Besucherzahlen der Plattform allegro.pl deutlich höher sind. Und auch in anderen Nachbarländern gibt es weitere Plattformen neben dem Online-Riesen. Beispielsweise in den Niederlanden sind bol.com und marktplaats.nl die ersten Anlaufstellen für den Online-Handel (Quelle). Und auch in Spanien gibt  es einen starken Konkurrenten für Amazon: Sprinter. Während Händler auf Amazon in Deutschland (55.000 Euro) und auch Großbritannien (101.600 Euro) mit durchschnittlich hohen Umsätzen trumpfen, generieren Amazon-Händler in Italien, Frankreich und Spanien durchschnittlich weniger als ein Drittel von dem: 15.000 Euro monatlich. Ein großer Unterschied also. Genau in den Ländern ist Amazon nicht konkurrenzlos und so nutzen immer mehr Händler die Chance, auch auf anderen Marktplätzen zu verkaufen. 

PAN-EU: Die Illusion der Internationalisierung

PAN-EU ist ein Programm von Amazon, mit dem Händler ihre Produkte über mehrere europäische Länder hinweg verkaufen können. Mit PAN-EU erhalten Händler die Möglichkeit, ihre Waren in sieben verschiedenen Ländern zu lagern und von dort aus zu versenden. Zurzeit sind Spanien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Polen und Italien Teil des PAN-EU-Programms. Online-Händler können mit der Teilnahme ihren Kundenstamm erweitern und ebenso kürzere Lieferzeiten gewährleisten. Es gibt allerdings einen Haken: PAN-EU, also der europaweite Verkauf über Amazon, ist nicht gleichzusetzen mit der Internationalisierung. Denn wer international verkauft, ist noch lange nicht überall gleichermaßen erfolgreich. PAN-EU vernachlässigt oft die Bedeutung der kulturellen Unterschiede einzelner Länder – dabei sind gerade diese Faktoren entscheidend für die Ausweitung des Handels. 

Im Gegensatz dazu bezieht sich Internationalisierung im E-Commerce auf die Ausdehnung der Geschäftstätigkeiten eines Unternehmens über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus. Und dieser Prozess umfasst weitaus mehr als den einfachen Verkauf aus einem anderen Land. Eine umfassende Internationalisierungsstrategie beinhaltet die Anpassung von Websites, Produkten und Marketingstrategien an die Bedürfnisse ausländischer Märkte. Es erfordert auch die Berücksichtigung von kulturellen Unterschieden, die je nach Land variieren können. Hier spielt für Online-Händler besonders die Einhaltung von länderspezifischen Vorschriften und Bestimmungen eine wesentliche Rolle. 

Die Kaufentscheidung des Kunden unterliegt in anderen Kulturkreisen somit völlig anderen Parametern. Um diese zu verstehen, muss  der Händler eben diese und jedes Land, jeden Kulturkreis für sich isoliert betrachten. So ist beispielsweise das Retourensystem in Spanien ein völlig anderes – hier erwarten die Kunden, dass ihre Retouren von zu Hause abgeholt werden. Ein anderes Beispiel dreht sich um die Preisstrategie: In einigen Ländern ist es üblich, Produkte mit krummen Preisen anzubieten. In anderen Ländern wiederum überhaupt nicht. Das Preisbild kann entscheidend sein, ob der Kunde den Kauf abschließt.

Der Verkauf in die Länder, die zum PAN-EU-Programm von Amazon gehören, gestaltet sich recht einfach. Händler, die sich ausschließlich darauf fokussieren, vernachlässigen in der Konsequenz jedoch andere wichtige Länder wie Dänemark, Schweden und Norwegen. Und hier steckt auch jede Menge Verkaufspotenzial. Händler, die bereit sind, auch den Schritt in andere Länder und vor allem auf andere Marktplätze als Amazon zu wagen, erhöhen ihre Umsatzchancen also deutlich.

Fazit – Internationalisieren heißt Lokalisieren

PAN-EU gilt als vermeintlicher Schritt in Richtung Internationalisierung im Online-Handel gelten – doch das reicht nicht aus. Internationalisierung erfordert eine breitere Expansion und Anpassung an verschiedene kulturelle und rechtliche Rahmenbedingungen. Händler müssen den Unterschied zwischen einfachem Verkauf in europäischen Nachbarländern und einer tatsächlichen Internationalisierung erkennen. Und dazu gehört eben mehr, als nur auf Amazon europaweit sichtbar zu sein. Damit Händler ihre Internationalisierung wirklich vorantreiben, müssen sie auf die sich ständig verändernden Anforderungen des Marktes reagieren. Dazu braucht es Engagement und die Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Die Welt wartet nicht auf halbherzige Versuche – echte Internationalisierung erfordert Mut und Entschlossenheit, sich auf die jeweils lokalen Gegebenheiten einzustellen.